Mit der Aussetzung der Wehrpflicht treibt die Regierung ein progressives Vorhaben voran. Wieso kommt eine solche Strukturreform ausgerechnet aus dem konservativen Lager?
Es scheint entschieden. Mit Horst Seehofer nimmt nun auch die Christlich Soziale Union von der Wehrpflicht Abstand. Für den bayrischen Ministerfürsten ist es nichts ungewöhnliches, seine Meinung entsprechend gefühlter Meinungstrends der Wählerschaft oder - wie in diesem Fall - das aktuelle Machtgefüge innerhalb der Regierung anerkennend radikal ins Gegenteil zu verkehren. Aber obwohl Seehofers sprunghaftes Verhältnis zur eigenen Überzeugung bekannt ist, lässt diese Entscheidung aufhorchen.
Ausgerechnet ein Verteidigungsminister aus Bayern
Die CSU verstand sich bislang als Partei der Bundeswehr. Zu diesem Verständnis gehörte auch, die Wehrpflicht als Säule der Verteidigungspolitik nicht zu hinterfragen. Nun ist es mit Karl Theodor zu Guttenberg ausgerechnet ein Verteidigungsminister aus Bayern, der die lange Tradition der Wehrpflicht auszusetzen und damit de facto abzuschaffen gedenkt. Dies ist auch deswegen bemerkenswert, da die Entscheidung von einer Regierung getroffen wird, der elf Jahre sozialdemokratische Regierungsbeteiligung voraus gingen. Von 1998 bis 2005 war zudem mit den Grünen eine Partei in der Regierungskoalition, die aus der Friedensbewegung hervorgegangen war. Wäre diese Zeit, wären diese Regierungen nicht prädestiniert gewesen für einen Schritt, der jetzt von den Konservativen vollzogen wird?
Die Strukturreform der Armee teilt in diesem Sinne ein Kuriosum mit der Neuausrichtung der bundesdeutschen Sozialpolitik unter der Regierung Schröder. Die sogenannte Agenda 2010, als deren Ziel neben dem Fördern auch explizit das Fordern herausgestellt wurde und für viele den Inbegriff neoliberaler Politik markiert, wurde seinerzeit nach 16 Jahren Stagnation unter Kohl ausgerechnet von den Sozialdemokraten durchgesetzt. Dabei sind neoliberale Ansichten sonst eher aus dem christlich-liberalen Lager zu vernehmen.
Von der "falschen" Partei durchgesetzt
Wie sehr sich die SPD an diesem Projekt verhoben hat, zeigten der darauf folgende Mitgliederschwund sowie die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl. Während sich die Partei unter dem Eindruck erlittener Verluste langsam daran begibt, beispielsweise durch die Neupositionierung zur Rente mit 67 ihre Regierungsarbeit in Frage zu stellen, verteidigt die heutige konservative Arbeitsministerin von der Leyen die Reform dessen, was unter dem Begriff Hartz IV verstanden wird mit einer beachtlichen Verve. Auch die Reform des Sozialstaats wurde also in diesem Sinne von der "falschen" Partei durchgesetzt.
Gemeinsam haben die Reform der Wehrpflicht sowie die Agenda 2010, dass es sich dabei um überfällige Strukturreformen handelt, die einem aus den äußeren Gegebenheiten folgenden Sachzwang Rechnung tragen - und dabei in die Tiefe gehen. Beide Fragen betreffen überdies die Menschen auf sehr direkte Weise.
Ideologische Gräben
Es hat den Anschein, als habe eine Regierung Schwierigkeiten damit, ureigene Themen auf diese tiefgreifende Weise zu bearbeiten. Die Ursache hierfür liegt möglicherweise in der Architektur unserer Parteiendemokratie. Setzte eine Partei ein Projekt um, dass dem eigenen Markenkern und der Tradition zu offensichtlich und weitreichend entspräche, würde dies alte Vorurteile bekräftigen. Infolge dessen wäre es der Opposition wäre ein Leichtes, ideologische Gräben aufzureißen und durch konfrontative und polarisierende Rhetorik die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. Eine solche Steilvorlage - man kann dies an der aktuellen Atompolitik der Reigierung beobachten - beschert einer gut geführten Opposition einigen Zulauf. Die allgemeine Angst der Machthabenden vor Reformen würde verstärkt vor der Sorge, der Opposition neue und möglicherweise mächtige Waffen in die Hand zu legen.
Anders sieht es aus, wenn vermeintlich traditionsfremde Themen angegangen werden. Dies erscheint a priori in einem pragmatischeren Licht. Der Opposition verbleibt es, lediglich nüchterne Kritik an Detailfragen zu verüben, möchte sie nicht die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Derweil scheint die Sorge, die eigene Anhängerschaft zu verprellen vergleichsweise gering. Sachzwänge scheinen sich in einem solchen Rahmen zumindest leichter Bahn brechen zu können. Ironischerweise führt das dazu, dass Strukturreformen nicht immer von denen vorangetrieben werden, von denen man es erwartet hätte.
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