Im Vorfeld der wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg wird nahezu jedes Handeln der politischen Akteure als strategische Entscheidung interpretiert. Auf die Bewertung der konkreten politischen Handlung sollte dieser Gesichtspunkt allerdings keinen Einfluss haben.
Dem Beobachter des politischen Geschehens wurde in den letzten Wochen innen- wie außenpolitisch einiges geboten. Die Katastrophe in Japan und der Einsatz in Libyen sind jeweils Ereignisse, die es nicht nur in die Jahresrückblicke der Hochglanzmagazine schaffen werden, sondern die einschneidende, gar historische Ereignisse markieren. Auch die Plagiatsaffäre um Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg steht für eine Nagelprobe gesellschaftlicher Auseinandersetzung, die in ihrem Verlauf Verhältnisse neu geordnet hat - und über ihren eigentlichen Anlass hinaus Wirkung besitzt.
Besagter Beobachter muss indes keine Angst haben, ihm könne langweilig werden. Wie sie auch ausgeht, die Landtagswahl in Baden-Württemberg wird die nationale Journalie lange in Atem halten. Und schon lange wirft diese Wahl ihre Schatten voraus. Jede Handlung der Regierung der bewegten vergangenen Tage, jede rhetorische Wendung der Opposition wird im Zeichen der Landtagswahl gedeutet.
Die Glaubwürdigkeit von Politikern ist von der Bewertung ihrer Politik zu trennen
So wie Nicolas Sarkozy vorgehalten wird, er wolle sich kurz vor den in Frankreich anstehenden Kommunalwahlen mit seinem energischen Vorgehen in der Libyenfrage außenpolitisch profilieren, sieht sich auch Westerwelle mit seiner Enthaltung bei der entsprechenden UN-Resolution dem Verdacht ausgesetzt, wahltaktisch zu agieren. Beide nehmen dabei gegensätzliche Positionen ein - beide aus den selben Motiven? Genauso konnte bei der Empörung der Opposition im Falle Guttenberg, bei der raschen Entscheidung zugunsten des Moratoriums in der Atompolitik argumentiert werden: Die politischen Akteure agierten rein taktisch, angetrieben nur durch das Schielen auf die wichtigen bevorstehenden Wahlen.
Diesen Vorwurf kann man immer erheben. Er kann niemals entkräftet werden. Und zugegeben - in den konkreten Beispielen liegt er tatsächlich sehr nahe. Genauso wenig wird man ihn jedoch beweisen können. Generell geschieht das Unterstellen von Motiven immer im Ungefähren, es bleibt Spekulation. Zur Beurteilung politischen Handelns ist er somit nur bedingt geeignet, möchte man sich dabei nicht vom Feuilleton abhängig machen. Es ist eine wichtige Feststellung, dass die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Politikern von der Bewertung ihrer Politik zu trennen ist.
Konkrete Handlungen als Grundlage politischer Bewertung
Bei der stark negativen Konnotation des Begriffs der Wahltaktik stellt sich zudem die Frage, ob dessen schlechter Ruf gerechtfertigt ist. Verlangen wir von unseren Politikern reine Gewissensentscheidungen? Oder ist das strategische Operieren im Vorfeld von Wahlen existenzielles Mittel innerhalb des demokratischen Systems? Diese Fragen ist sicher nicht mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten. Darin zeigt sich auch deren Komplexität. Allerdings scheint es zumindest demokratisch und legitim, wenn sich Machthaber an einer mutmaßlichen Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung orientieren.
Was zur Bewertung der Politik bleibt, sind die konkreten Handlungen der Akteure. Die Frage, wann der deutsche Diplomat in der Tagung des Weltsicherheitsrats seinen Arm gehoben hat, lässt sich objektiv beantworten - er hat die deutsche Enthaltung signalisiert. Die Außenpolitik Deutschlands wie auch Politik insgesamt wird letztlich an diesen "harten" Tatsachen zu messen sein, und nicht anhand von Spekulationen über ihre Motive.
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