Die Plagiatsaffäre, die Karl-Theodor zu Guttenberg schließlich zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern bewegte, wurde auf bislang nicht gekannte Weise von Bewegungen im Internet bestimmt. Die intensive Begleitung des Meinungskampfes im Netz, auch von den klassischen Medien, schreibt diesem jedoch eine Relevanz zu, welche er nicht besitzt - noch nicht.
In der Nachbetrachtung der Affäre des Ex-Verteidigungsministers zu Guttenberg ist eine der spannendsten Fragen diejenige nach der Rolle, welche das Internet dabei gespielt hat.
Während der netzaffine Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht in zu Guttenberg gar den ersten Minister sieht, "den das Internet gestürzt hat", wird die fünfte Gewalt auch andernorts bejubelt. In dieser Euphorie geht jedoch unter, dass dem Internet als Indikator für Meinungs- und Stimmungsbilder bislang eine höchst zweifelhafte Bedeutung zukommt.
Kampf um die Meinungshoheit
Mit der Auseinandersetzung nach den Enthüllungen über die Unstimmigkeiten in zu Guttenbergs Dissertation begann auch Kampf um die Meinungshoheit im Internet. Die beispiellose Unterstützungskampagne der Bild wurde dabei begleitet von einer Online-Umfrage auf deren Internetpräsenz. Auch der Spiegel beteiligte sich an diesem Kampf, wobei er zur Unterstützung der eigenen Position weitere Umfragen von Portalen der großen deutschen Zeitungen zitiert.
Den Aktivitäten auf Facebook wurde in der Debatte ebenfalls ein überraschend großer Raum beigemessen. Während die Bild eine hohe Beliebtheit des Verteidigungsministers anhand der Mitgliederzahl einer Gruppe bei Facebook begründet, ist nach dessen Rücktritt die rasant gewachsene Gruppe "Wir wollen Guttenberg zurück" von außerordentlichem Interesse, und das auch und im Besonderen in klassischen Medien, auch außerhalb des Netzes.
Online-Umfragen besitzen kaum Relevanz
Dabei ist nicht klar, welche Bedeutung und Relevanz Online-Umfragen und Facebook-Gruppen zukommt. Während Umfragen auf Internetportalen natürlich alles andere als repräsentativ sind, ist durch die hohe Missbrauchsgefahr - einzelne Mitglieder könnten mehrfach oder gar automatisiert abstimmen - kaum eine Aussage aus ihren Ergebnissen abzuleiten.
Auch Facebook - in Deutschland sind etwa 60% zwischen 14 und 29 Jahren alt - ermöglicht allenfalls einen Einblick in einen sehr bestimmten Teil der Gesellschaft. Außerdem macht es die geringe Hemmschwelle beim drücken des "Gefällt mir"-Buttons ohnehin schwer, Wert und Aussagekraft auf diesem Weg vermittelter Unterstützung einzuschätzen, wie die niedrige Beteiligung bei den Pro-Guttenberg-Demonstrationen beweist. Schließlich bilden Online-Erhebungen von Zustimmung oder Ablehnung auch wesentlich die Vernetztheit bestimmter Interessengruppen ab - und haben so keine relevante Aussage.
Netzgemeinschaft im Wandel begriffen
In Anbetracht dessen erscheint die große mediale Aufmerksamkeit, die diesen Aktivitäten zuteil wird, unangemessen. Tatsächlich ist es eher die Perspektive dieser Entwicklung von Interesse. Es ist abzusehen, dass die Repräsentativität im Internet getätigter Meinungsbekundungen in den nächsten Jahren zunimmt - sobald sich das Internet nämlich dahin entwickelt, von jeder Generation, jeder sozialen Schicht und jeder gesellschaftlichen Gruppe mit gleichem Selbstverständnis genutzt zu werden.
Derzeit ist das Internet und die dort postulierte Mehrheitsmeinung noch recht genau lokalisierbar. Spricht man von der sogenannten Netzgemeinde, so kann dieser von außen relativ präzise ein entsprechender Standpunkt zugeordnet werden. In diesem Sinne hat das Internet eine eigene Meinung. Dieser Zustand der Netzgemeinschaft als monolithische Einheit ist jedoch im Wandel begriffen. Schon heute, behauptet etwa der Blogger Seemann, gibt es das Netz "als – zumindest von außen – irgendwie homogen aussehender Meinungsraum" nicht mehr.
Damit wird das Netz nicht länger Sprachrohr einer informationstechnischen Elite, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Umschlagplatz individueller Standpunkte. In dieser Perspektive liegt eine große Chance für die Demokratie.
Debatte aus politischem Lagerdenken befreien
Tatsächlich bietet das Netz durch die Fülle an Inhalten sowie die immens hohe Taktrate deren Veröffentlichungen ein hohes informationelles Potential - und verändert die Medienlandschaft nachhaltig. So sieht sich offenbar auch das klassische Massenmedium Fernsehen gezwungen, zu reagieren. Durch Live-Ticker am Bildschirm-Rand oder Live-Schalten (wie im ZDF heute journal vom 10. Febuar zu einer Rede des damaligen Staatschefs von Ägypten, Hosni Mubarak) wird versucht, der Aktualität von Information im Netz beizukommen.
Diese durch das Internet gewährleistete Verfügbarkeit von Information bietet die Chance, die öffentliche Debatte endgültig aus dem politischen Lagerdenken früherer bundesrepublikanischer Tage zu befreien. Jedem steht die Möglichkeit offen, sich unmittelbar und unabhängig zu informieren, konkurrierende Standpunkte einzuholen. Entscheidend hierbei ist, dass die Hürden dafür sehr niedrig liegen. Das Internet fördert somit das inhaltlich begründete Zustandekommen differenzierter Meinungsbilder als Teil der politischen Öffentlichkeit - jenseits von Parteienzugehörigkeit und Ideologie.
Inhalte nicht nur verbreitet, sondern generiert
Während der Plagiatsaffäre blieb die Rolle des Netzes jedoch nicht darauf beschränkt, als Plattform für allgemeinen Informationsaustausch zu dienen. Mit GuttenPlag wurde darüber hinaus eine Plattform zur kollektiven Informationsverarbeitung bereitgestellt. Es ist durchaus bemerkenswert, dass damit im Internet nicht nur Inhalte verbreitet, sondern auch generiert wurden, die den Verlauf der Auseinandersetzung maßgeblich mitbestimmt haben.
Angesichts dieser bedeutenden Eigenschaft des Internets als Informationsplattform erscheint es um so unverständlicher, weshalb sich die öffentliche Aufmerksamkeit so stark vom irrelevanten, von der Bildzeitung eröffneten Nebenkriegsschauplatz der Online-Umfragen hat ablenken lassen. Seine angemessenen Platz in der öffentlichen Debatte muss das Internet offenbar erst noch finden.
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