Freitag, 1. Juli 2011

Google+ kann mehr

Google lässt den nächsten Herausforderer auf den Giganten Facebook los. Die Unterschiede mögen gering erscheinen, doch mit diesem Versuch zeigt Google mustergültig die Schwächen der Konkurrenz auf.

Soziale Netzwerke sind nach wie vor eine der großen Entwicklungen im Internet, deren Implikationen auf das gesellschaftliche Zusammenleben erst nach und nach zutage treten - für diese Einsicht muss gar nicht bis über das Mittelmeer blicken. Während StudiVZ und MySpace so langsam gegen die Bedeutungslosigkeit konvergieren, wird das Geschehen derzeit von Twitter und Facebook beherrscht.

Google hat nun mit Google+ zum wiederholten Mal den Versuch gewagt, diese Verhältnisse neu zu sortieren. Und greift mit seinem bislang im geschlossenen Beta-Stadium befindlichen Produkt unverholen Facebook an. Schon die Ähnlichkeiten der Oberfläche zeigt die Zielrichtung deutlich an. Aber eine schlichte Kopie der Funktionalität wird die Netzbürger nicht bewegen, einen weiteres Datenfass aufzumachen. Dazu verlangt es Mehrwert. Ist dieser gegeben?

Die ersten Eindrücke lassen dies zumindest vermuten. Konkret möchte ich drei Gründe dafür nennen, warum Google+ in seinem Konzept reifer und effizienter als erscheint als sein blauer Konkurrent.

Selektion

Freunde werden bei Google+ in sogenannten Circles verwaltet, die ähnlich der Gruppen von Facebook funktionieren. Selektion ist hier aber nicht nur theoretisch möglich, sondern fundamentaler Bestandteil des Modells. Dieses berücksichtigt, das "Sharing" immer nicht nur eine Entscheidung für den Inhalt, sondern auch für den Empfänger ist. Der Nutzer wird dabei zu einer aktiven Entscheidung genötigt, wer was erhalten soll.

Dies ermöglicht äußerst effizient, Inhalte mit Freunden zu teilen, die meine Arbeitskollegen aber nichts angehen, oder aber familiäre Belange ausschließlich mit Famlilienmitgliedern zu teilen.

Diese Möglichkeiten betreffen nicht allein die Frage, wer einen gewissen Inhalt lesen darf, sondern insbesondere eine die Frage danach, wer diesen Inhalt zu lesen braucht. Selektion von Information findet also nicht nur auf Seiten des Empfängers statt, sondern bereits auf Seiten des Nutzers, der den Inhalt teilt. Wie das in der Praxis funktioniert, wird sich zeigen. Potential hat der Ansatz allemal, gerade dann, wenn man ihn als Angriff auf Facebook versteht: Das Netzwerk krankt an mangelhafter Umsetzung der Selektionsmöglichkeiten einer immensen Informationsflut.

Eine Plattform für alles

Als neuartiges Feature bietet Google+ die Möglichkeit, auch mit Leuten, die nicht im Netzwerk angemeldet, zu kommunizieren. Diese erhalten die Inhalte dann per Mail. Für mich als den Nutzer, der seine Urlaubsfotos mit anderen teilen möchte wird Google+ damit universelle Anlaufstelle. Die Frage, wen ich wie erreichen kann, stellt sich nicht mehr. So kann ich meiner in Belangen der sozialen Netzwerke unbedarften Mutter einen Link zu einem Fotoalbum mit dem selben Klick zusenden, mit dem Ich diese Fotos mit meinem netzaffinen und registrierten Freundeskreis teile. Dies in ein Schritt in Richtung der Realität, raus aus dem Schatten der digitalen Isolation.

Einfach und Mächtig

Google+ ist simpel. Das suggeriert die schlichte Oberfläche (auch wenn für Googles Verhältnisse ziemlich auf den Putz gehauen wurde), das zeigen aber auch die ersten Schritte auf der neuen Plattform.

Die noch ausstehende Integration von anderen Diensten wie Google Reader oder Blogger werden enorme Synergieeffekte mit sich bringen. In dieser Perspektive zeigt sich aber auch, dass der Aufbau des Netzwerks gewissermaßen modular ist. Niemand muss einen Blog bei Google betreiben. Der, der es will, bekommt die Möglichkeit zur Integration ansonsten eigenständiger und ausgereifter Dienste. So wird der Einstieg ins Google-Universum leicht gemacht, und jeder bekommt die Komplexität, die er will.

Aber

Einem Erfolg von Google+ steht eine Zahl entgegen: 700.000.000 aktive Nutzer behauptet Facebook weltweit zu haben. Durch diese Markmacht ist Facebook trotz seines abgeschlossenen Charakters zu einem Quasi-Standard der Branche geworden, und man kann mutmaßen, ob der Lock-in nicht bereits eingetreten ist. Dass die Netzwelt das Projekt positiv aufnimmt, lässt zwar einen guten Start erhoffen, ändert aber nichts an der Erhabenheit dieser irrwitzigen Zahl. Und letzten Endes kann das Konzept noch so schön sein: Ein soziales Netzwerk ohne Nutzer funktioniert nicht.

Dienstag, 29. März 2011

Wählen als Affekthandlung

Die Radiosendung "Politikum" vom WDR beginnt jedes Mal, das heisst vier mal die Woche mit einer Glosse des Moderators. Gestern, am 28.03.11, nutze der Moderator Stefan Karkowski diese Gelegenheit für eine interessante Interpretation des Wahlergebnisses bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Dieser Text, nachzuhören auf der Internetseite der Sendung, wird nachfolgend zitiert.

Ich bin ehrlich gesagt ziemlich fassungslos. Kann das wirklich sein, dass das Ergebnis deutscher Landtagswahlen davon abhängt, was für Katastrophen irgendwo auf der Welt passieren? Will ich das wirklich glauben? Wählen als Affekthandlung ist gefährlich für die Demokratie. Weil dabei nicht nachhaltige Politik belohnt wird.

Noch bei der Bundestagswahl hatten Union und FDP die absolute Mehrheit im Ländle geholt. Kaum anderthalb Jahre später werden sie vom Hof gejagt. Nicht etwa, weil sie die Wähler getäuscht hätten. Nein, schon damals war schwarz-gelb mit offenem Visier angetreten, als Pro-Atom-Koalition. Laut und deutlich hatte man die Laufzeitenverlängerung versprochen, und dennoch wurden die Grünen 2009 nur viertstärkste Kraft, noch hinter der FDP. Heute stellen sie den Regierungschef. Hat sich in diesen 18 Monaten die Politik geändert? Nein. Die Sicherheit der Atomkraftwerke? Nein, geändert haben sich nur die Fernsehbilder. Bei wem also sollte sich der Grüne Winfried Kretschmann bedanken in seiner Antrittsrede. Sagen sie jetzt nicht, beim japanischen Atomkonzern Tepco. Sie könnten der Wahrheit bedenklich nahe kommen.

Dienstag, 22. März 2011

Wahltaktik und die Bewertung von politischem Handeln

Im Vorfeld der wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg wird nahezu jedes Handeln der politischen Akteure als strategische Entscheidung interpretiert. Auf die Bewertung der konkreten politischen Handlung sollte dieser Gesichtspunkt allerdings keinen Einfluss haben.

Dem Beobachter des politischen Geschehens wurde in den letzten Wochen innen- wie außenpolitisch einiges geboten. Die Katastrophe in Japan und der Einsatz in Libyen sind jeweils Ereignisse, die es nicht nur in die Jahresrückblicke der Hochglanzmagazine schaffen werden, sondern die einschneidende, gar historische Ereignisse markieren. Auch die Plagiatsaffäre um Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg steht für eine Nagelprobe gesellschaftlicher Auseinandersetzung, die in ihrem Verlauf Verhältnisse neu geordnet hat - und über ihren eigentlichen Anlass hinaus Wirkung besitzt.

Besagter Beobachter muss indes keine Angst haben, ihm könne langweilig werden. Wie sie auch ausgeht, die Landtagswahl in Baden-Württemberg wird die nationale Journalie lange in Atem halten. Und schon lange wirft diese Wahl ihre Schatten voraus. Jede Handlung der Regierung der bewegten vergangenen Tage, jede rhetorische Wendung der Opposition wird im Zeichen der Landtagswahl gedeutet.

Die Glaubwürdigkeit von Politikern ist von der Bewertung ihrer Politik zu trennen

So wie Nicolas Sarkozy vorgehalten wird, er wolle sich kurz vor den in Frankreich anstehenden Kommunalwahlen mit seinem energischen Vorgehen in der Libyenfrage außenpolitisch profilieren, sieht sich auch Westerwelle mit seiner Enthaltung bei der entsprechenden UN-Resolution dem Verdacht ausgesetzt, wahltaktisch zu agieren. Beide nehmen dabei gegensätzliche Positionen ein - beide aus den selben Motiven? Genauso konnte bei der Empörung der Opposition im Falle Guttenberg, bei der raschen Entscheidung zugunsten des Moratoriums in der Atompolitik argumentiert werden: Die politischen Akteure agierten rein taktisch, angetrieben nur durch das Schielen auf die wichtigen bevorstehenden Wahlen.

Diesen Vorwurf kann man immer erheben. Er kann niemals entkräftet werden. Und zugegeben - in den konkreten Beispielen liegt er tatsächlich sehr nahe. Genauso wenig wird man ihn jedoch beweisen können. Generell geschieht das Unterstellen von Motiven immer im Ungefähren, es bleibt Spekulation. Zur Beurteilung politischen Handelns ist er somit nur bedingt geeignet, möchte man sich dabei nicht vom Feuilleton abhängig machen. Es ist eine wichtige Feststellung, dass die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Politikern von der Bewertung ihrer Politik zu trennen ist.

Konkrete Handlungen als Grundlage politischer Bewertung

Bei der stark negativen Konnotation des Begriffs der Wahltaktik stellt sich zudem die Frage, ob dessen schlechter Ruf gerechtfertigt ist. Verlangen wir von unseren Politikern reine Gewissensentscheidungen? Oder ist das strategische Operieren im Vorfeld von Wahlen existenzielles Mittel innerhalb des demokratischen Systems? Diese Fragen ist sicher nicht mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten. Darin zeigt sich auch deren Komplexität. Allerdings scheint es zumindest demokratisch und legitim, wenn sich Machthaber an einer mutmaßlichen Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung orientieren.

Was zur Bewertung der Politik bleibt, sind die konkreten Handlungen der Akteure. Die Frage, wann der deutsche Diplomat in der Tagung des Weltsicherheitsrats seinen Arm gehoben hat, lässt sich objektiv beantworten - er hat die deutsche Enthaltung signalisiert. Die Außenpolitik Deutschlands wie auch Politik insgesamt wird letztlich an diesen "harten" Tatsachen zu messen sein, und nicht anhand von Spekulationen über ihre Motive.

Donnerstag, 10. März 2011

Die fünfte Gewalt: Meinung und Relevanz

Die Plagiatsaffäre, die Karl-Theodor zu Guttenberg schließlich zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern bewegte, wurde auf bislang nicht gekannte Weise von Bewegungen im Internet bestimmt. Die intensive Begleitung des Meinungskampfes im Netz, auch von den klassischen Medien, schreibt diesem jedoch eine Relevanz zu, welche er nicht besitzt - noch nicht.

In der Nachbetrachtung der Affäre des Ex-Verteidigungsministers zu Guttenberg ist eine der spannendsten Fragen diejenige nach der Rolle, welche das Internet dabei gespielt hat.

Während der netzaffine Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht in zu Guttenberg gar den ersten Minister sieht, "den das Internet gestürzt hat", wird die fünfte Gewalt auch andernorts bejubelt. In dieser Euphorie geht jedoch unter, dass dem Internet als Indikator für Meinungs- und Stimmungsbilder bislang eine höchst zweifelhafte Bedeutung zukommt.

Kampf um die Meinungshoheit

Mit der Auseinandersetzung nach den Enthüllungen über die Unstimmigkeiten in zu Guttenbergs Dissertation begann auch Kampf um die Meinungshoheit im Internet. Die beispiellose Unterstützungskampagne der Bild wurde dabei begleitet von einer Online-Umfrage auf deren Internetpräsenz. Auch der Spiegel beteiligte sich an diesem Kampf, wobei er zur Unterstützung der eigenen Position weitere Umfragen von Portalen der großen deutschen Zeitungen zitiert.

Den Aktivitäten auf Facebook wurde in der Debatte ebenfalls ein überraschend großer Raum beigemessen. Während die Bild eine hohe Beliebtheit des Verteidigungsministers anhand der Mitgliederzahl einer Gruppe bei Facebook begründet, ist nach dessen Rücktritt die rasant gewachsene Gruppe "Wir wollen Guttenberg zurück" von außerordentlichem Interesse, und das auch und im Besonderen in klassischen Medien, auch außerhalb des Netzes.

Online-Umfragen besitzen kaum Relevanz

Dabei ist nicht klar, welche Bedeutung und Relevanz Online-Umfragen und Facebook-Gruppen zukommt. Während Umfragen auf Internetportalen natürlich alles andere als repräsentativ sind, ist durch die hohe Missbrauchsgefahr - einzelne Mitglieder könnten mehrfach oder gar automatisiert abstimmen - kaum eine Aussage aus ihren Ergebnissen abzuleiten.

Auch Facebook - in Deutschland sind etwa 60% zwischen 14 und 29 Jahren alt - ermöglicht allenfalls einen Einblick in einen sehr bestimmten Teil der Gesellschaft. Außerdem macht es die geringe Hemmschwelle beim drücken des "Gefällt mir"-Buttons ohnehin schwer, Wert und Aussagekraft auf diesem Weg vermittelter Unterstützung einzuschätzen, wie die niedrige Beteiligung bei den Pro-Guttenberg-Demonstrationen beweist. Schließlich bilden Online-Erhebungen von Zustimmung oder Ablehnung auch wesentlich die Vernetztheit bestimmter Interessengruppen ab - und haben so keine relevante Aussage.

Netzgemeinschaft im Wandel begriffen

In Anbetracht dessen erscheint die große mediale Aufmerksamkeit, die diesen Aktivitäten zuteil wird, unangemessen. Tatsächlich ist es eher die Perspektive dieser Entwicklung von Interesse. Es ist abzusehen, dass die Repräsentativität im Internet getätigter Meinungsbekundungen in den nächsten Jahren zunimmt - sobald sich das Internet nämlich dahin entwickelt, von jeder Generation, jeder sozialen Schicht und jeder gesellschaftlichen Gruppe mit gleichem Selbstverständnis genutzt zu werden.

Derzeit ist das Internet und die dort postulierte Mehrheitsmeinung noch recht genau lokalisierbar. Spricht man von der sogenannten Netzgemeinde, so kann dieser von außen relativ präzise ein entsprechender Standpunkt zugeordnet werden. In diesem Sinne hat das Internet eine eigene Meinung. Dieser Zustand der Netzgemeinschaft als monolithische Einheit ist jedoch im Wandel begriffen. Schon heute, behauptet etwa der Blogger Seemann, gibt es das Netz "als – zumindest von außen – irgendwie homogen aussehender Meinungsraum" nicht mehr.

Damit wird das Netz nicht länger Sprachrohr einer informationstechnischen Elite, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Umschlagplatz individueller Standpunkte. In dieser Perspektive liegt eine große Chance für die Demokratie.

Debatte aus politischem Lagerdenken befreien

Tatsächlich bietet das Netz durch die Fülle an Inhalten sowie die immens hohe Taktrate deren Veröffentlichungen ein hohes informationelles Potential - und verändert die Medienlandschaft nachhaltig. So sieht sich offenbar auch das klassische Massenmedium Fernsehen gezwungen, zu reagieren. Durch Live-Ticker am Bildschirm-Rand oder Live-Schalten (wie im ZDF heute journal vom 10. Febuar zu einer Rede des damaligen Staatschefs von Ägypten, Hosni Mubarak) wird versucht, der Aktualität von Information im Netz beizukommen.

Diese durch das Internet gewährleistete Verfügbarkeit von Information bietet die Chance, die öffentliche Debatte endgültig aus dem politischen Lagerdenken früherer bundesrepublikanischer Tage zu befreien. Jedem steht die Möglichkeit offen, sich unmittelbar und unabhängig zu informieren, konkurrierende Standpunkte einzuholen. Entscheidend hierbei ist, dass die Hürden dafür sehr niedrig liegen. Das Internet fördert somit das inhaltlich begründete Zustandekommen differenzierter Meinungsbilder als Teil der politischen Öffentlichkeit - jenseits von Parteienzugehörigkeit und Ideologie.

Inhalte nicht nur verbreitet, sondern generiert

Während der Plagiatsaffäre blieb die Rolle des Netzes jedoch nicht darauf beschränkt, als Plattform für allgemeinen Informationsaustausch zu dienen. Mit GuttenPlag wurde darüber hinaus eine Plattform zur kollektiven Informationsverarbeitung bereitgestellt. Es ist durchaus bemerkenswert, dass damit im Internet nicht nur Inhalte verbreitet, sondern auch generiert wurden, die den Verlauf der Auseinandersetzung maßgeblich mitbestimmt haben.

Angesichts dieser bedeutenden Eigenschaft des Internets als Informationsplattform erscheint es um so unverständlicher, weshalb sich die öffentliche Aufmerksamkeit so stark vom irrelevanten, von der Bildzeitung eröffneten Nebenkriegsschauplatz der Online-Umfragen hat ablenken lassen. Seine angemessenen Platz in der öffentlichen Debatte muss das Internet offenbar erst noch finden.

Samstag, 5. Februar 2011

Baron der Beliebigkeit

Verteidigungsminister zu Guttenberg stellt sich in seiner Eröffnungsrede der Münchner Sicherheitskonferenz klar auf die Seite ägyptischer Oppositioneller. Während dies nach der bislang vorsichtigen Positionierung der europäischen Politik wie ein klares Bekenntnis erscheint, offenbart zu Guttenberg damit gleichzeitig seine rhetorische Beliebigkeit.

Seit Wochen demonstrieren arabische Völker gegen ihre autokratischen Regierungen. Während die Welle der Renitenz überraschend und unvorhersehbar aufkam, tut sich der Westen ganz erwartungsgemäß schwer damit, eine klare Position zu beziehen.

Zu Guttenberg, dessen politisches Kapital auch darin besteht, klare und deutliche Worte zu finden, hat sich nun hinter die ägyptische Opposition gestellt und zum Handeln aufgerufen. Während dieser Schritt notwendig ist, um die Lücke zwischen ethischem Anspruch der europäischen Rhetorik und tatsächlichem Handeln zu schließen, lassen Äußerungen zu Guttenbergs aufmerken, welche er während des Weltwirtschaftsforums in Davos getätigt hat.

"Infektiöses Momentum"

Im Kreise von Vertretern der versammelten Weltwirtschaft mahnte der Verteidigungsminister zu Wachsamkeit.
Wir müssen auf jeden Fall sehr, sehr Wachsam in die Region blicken, und Wachsamkeit allein genügt nicht. [1]
Also auch ein Aufruf zum Handeln? Anders als in München betont der Verteidigungsminister aber nicht den Freiheitsdrang des ägyptischen Volks als dessen "legitimes Anliegen", sondern seine Sorge um Stabilität in der Region. Es sei ganz offenbar ein "Destabilisierungspotenzial" gegeben, man habe gar ein "infektiöses Momentum" feststellen können. Dabei fordert er, wie auch auf der Sicherheitskonferenz, die "Beziehungen in die Region" zu nutzen. Es bleibt unklar, was genau an dieser Stelle gemeint ist - ein Aufruf zu Schutz und Unterstützung der ägyptischen Opposition ist das allerdings nicht.

Die Frage nach Stabilität in der Region ist sicher von hohem geopolitischem Interesse, und darin ist auch der Grund dafür zu suchen, dass sich die USA lange schwer getan haben, den ägyptischen Diktator Mubarak fallen zu lassen. Doch selbst wenn man in den verschiedenen Einlassungen zu Guttenbergs keinen Widerspruch erkennen möchte, zeigt sich, mit welcher Beliebigkeit er seine Positionen vertritt. Darunter leidet nicht zuletzt seine Glaubwürdigkeit, seine viel gerühmte Redegewandtheit verkommt zu inhaltloser Rhetorik.

Opportunistischer Meinungsschwenk?

Dies geschieht vor dem Hintergrund der Affäre um das Schulschiff Gorch Fock, in deren Folge der Baron als Konsequenz dessen Kapitän abberief - nur Stunden nachdem er davor warnte, Vorverurteilungen vorzunehmen. Die massive Kritik, es handle sich hierbei um ein Bauernopfer, prallte an ihm ab. Auch bestätigen Demoskopen, dass er unbeschadet aus der Sache hervorgegangen ist.

In diesem Fall wie in der Frage nach seiner Positionierung zu den Demonstrationen in der arabischen Welt ist jedoch nicht klar, welche neuen Erkenntnisse und Informationen ihn zu diesem Schwenk seiner Meinung veranlasst haben - oder ob er, je nach Publikum, gerade das verlautbaren lässt, was ihm am opportunsten erscheint.

[1] Äußerungen zum Nachhören Podcast WDR5 - Politikum