Montag, 2. Dezember 2013

Sind wir Wähler zweiter Klasse?

Am vergangenen Mittwoch wurde von den Vorsitzenden der Unionsparteien sowie der SPD ein Koalitionsvertrag unterzeichnet. Auf diese Weise die Richtlinien der Politik einer entsprechenden neuen Regierung bereits vor der Wahl des Bundeskanzlers bekanntzugeben, ist ein gewohntes Ritual im bundesrepublikanischen Politikbetrieb. Ungewöhnlich ist, dass die Sozialdemokraten ihre Unterschrift leisten unter dem Vorbehalt, zunächst ihre Mitglieder darüber befragen zu wollen, ob eine Regierungsbeteiligung unter den ausverhandelten Bedingungen im Interesse der Basis ist. Dieser zusätzliche Schritt wird nun in den letzten Wochen diskutiert. Intensiver wurde die Auseinandersetzung nach einem TV-Interview, in welchem eine ignorante Marietta Slomka einen angriffslustigen Sigmar Gabriel über die Verfassungsmäßigkeit des Mitgliederentscheids befragte. Dass das Interview ein großes Aufsehen erreichte lag aber nicht an der inhaltlichen kontroverse, wenn auch im Nachhinein von Seiten eines pikierten Journalismus so getan wird, sondern an der Kratzbürstigkeit seiner Teilnehmer, also aus persönlichen, nicht politischen Gründen. Inhaltlich trug es in sofern zur Debatte bei, als das Kommentatoren einen einen Aufhänger, der Leserschaft einen emotionalen Zugang zur Thematik bot. Ohne geht es offenbar nicht. Das Interview war inhaltlich in Ermangelung einer funktionierenden Gesprächsebene wenig erhellend, und die Geschichte wurde auf eine Weise aufgeblasen, die grundsätzliche Fragen über Maßstäbe der Öffentlichkeit zulassen würde, was an dieser Stelle aber nicht passieren soll. Interessant in diesem Kontext war höchstens der konstruierte Antagonismus zwischen Politik und Medien, bei dem Horst Seehofer erst mit einer Beschwerde beim ZDF aufwartete und dann die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender am Sonntag in den Magazinen Berlin direkt sowie Bericht aus Berlin Bezug auf das Gespräch nahmen und mit einem deutlichen Kommentar bedachten. Das Schauspiel ist unwürdig, aber offenbar wurden in Politik wie Medien Befindlichkeiten getroffen.

Was bliebt ist aber die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Mitgliederentscheids. Allein die Frage aber, scheint mir, ist nur schwer nachzuvollziehen. Denn tatsächlich hat ein Koalitionsvertrag mit der Verfassung nichts zu tun. Der Begriff taucht im Grundgesetz nicht auf. Wie die Parteien das Zustandekommen eines solchen Abkommens organisieren, wird von der Verfassung folglich nicht vorgegeben.

Ein Einwurf ist die mit dem Mitgliederentscheid einhergehende Degradierung des Bundestags. Dabei sind die Aufgaben des Parlaments im Grundgesetz klar benannt. Es hat den Kanzler zu wählen, und das wird es aller Voraussicht schon bald tun. Sobald das geschehen ist, schreibt die Verfassung dem Parlament die Kontrolle der Regierung vor, hinzu kommt seine gesetzgebende Kraft. Nähme man die Kritik ernst, so müsste man einen Anspruch der Abgeordneten auf Mitsprache beim Zustandekommen der Regierung konstruieren. Es ist langjähriger parteipolitischer Tradition, dass der koalitionären Regierungsbildung ein Abkommen in Form eines Koalitionsvertrages vorausgeht, indem die Richtlinien der Politik einer neuen Regierung vorweggenommen werden. Die Richtlinienkompetenz, die an dieser Stelle verhandelt wird, liegt aber beim Kanzler! Die Kompetenz, die der Mitgliederentscheid der SPD also einschränkt, ist nicht die des Parlaments, sondern die des erst zu wählenden Regierungschefs. Dies ließe sich sicher kritisieren, jedoch beträfe eine solche Kritik vermutlich jede Form eines Koalitionsvertrags und nicht speziell jene, welche die SPD ins Spiel gebracht hat.

Damit geht auch der Vorwurf fehl, das Nichtmitglied sei nun ein Wähler zweiter Klasse. Vielmehr holt die Parteiführung der SPD eine zusätzliche Legitimation dafür ein, sich an einer Regierung zu beteiligen. Schon dieser Schritt ist nicht notwendig, sondern eher als taktischer Schritt zu werten, der die Verhandlungsposition der SPD während der Koalitionsverhandlungen gestärkt hat. Zudem muss man anerkennen, dass eine Regierungsbeteiligung der SPD parteiinterne Spannungen hervorrufen wird. Pessimisten, die ein schlechtes Wahlergebnis 2017 voraussagen, die um den Verlust weiterer Wählerschichten bangen, können mit diversen historischen Beispielen die Gefahr für den Zusammenhalt der Partei belegen, die von einer Regierungsbeteiligung und einer damit einhergehenden Entfernung der Parteispitze von ihrer Basis ausgeht. Daraus ergeben sich Fragen, die zuallererst SPD-Mitglieder abzuwägen haben, und es macht daher einen gewissen Sinn, dass darüber nun auch genau diese SPD-Mitglieder entscheiden.

Der Bundeskanzler indes wird dann vom Parlament gewählt. Und bitte nicht von der SPD-Basis. Da das wohl auch nicht zu erwarten ist, scheint alles in bester Ordnung.

Sonntag, 28. Juli 2013

Das Finale des Herrenwitzes

Die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen ist Europameister. Nach teilweise gruseligem Fußball, einer grotesken Erwartungshaltung und einer sensationellen Steigerung über die Final-Spiele des DFB-Teams erzählt dieser Triumph eine Geschichte von Kampfgeist, Zusammenhalt, Stärke.

Leider ist Frauenfußball derzeit untrennbar auch immer verbunden mit einer naiven Geschlechter-Rivalität. Der unstatthafte Vergleich zum Männerteam ist in der Rezeption des Sports offenbar unvermeidlich, und meinem Eindruck nach wird er gerne in Zusammenhang mit selbstvergewissernder Gehässigkeit angebracht, von Männern ("Das ist ja Kreisklasse") wie Frauen ("Das sollen die Männer erstmal nachmachen"). Beide Reflexe haben irgendwo einen nachvollziehbaren Kern, sind aber unangemessen und sinnlos.

Sind wir als Gesellschaft nicht weiter? Haben wir es wirklich nötig, zwischen den Geschlechtern auf diese Weise eine Frontlinie zu simulieren. Mit diesem Gedanken im Sinn bin ich auf Twitter auf folgende Kommentare gestoßen.

https://twitter.com/CybTom/status/361511199604621314
https://twitter.com/unausrodbar/status/361510024222220288
https://twitter.com/Tom1985/status/361509322557112321
https://twitter.com/guek62/status/361524470126624768
https://twitter.com/TobiasHuch/status/361520635425456129
https://twitter.com/TheRuppert/status/361524999305175042
https://twitter.com/sieratschki/status/361523471710298112
https://twitter.com/sw_ste/status/361519827241811968
https://twitter.com/vertestbelle/status/361516309898469377
https://twitter.com/Konni/status/361513459692748801

Offenbar geht das Problem tiefer. Die Fixierung auf Sexualität und Frauen-Klischees wird hier als Mittel dazu verwendet, Anerkennung zu finden. Mit Erfolg, wie die vielen Reaktionen in Form von Favorisierungen und Retweets zeigen. Während offener Rassismus weitgehend verdrängt ist und nunmehr in subtilerer Gestalt auftritt, bleibt ein deratiger, stumpfer Sexismus offenbar salonfähig, gar anerkannt. Sicher sind ein Paar Beiträge in sozialen Netzwerken von geringer Aussagekraft. Dennoch bilden sie ab, wo diese Gesellschaft herkommt, und dass sie noch einen Weg vor sich hat.