Dienstag, 29. März 2011

Wählen als Affekthandlung

Die Radiosendung "Politikum" vom WDR beginnt jedes Mal, das heisst vier mal die Woche mit einer Glosse des Moderators. Gestern, am 28.03.11, nutze der Moderator Stefan Karkowski diese Gelegenheit für eine interessante Interpretation des Wahlergebnisses bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Dieser Text, nachzuhören auf der Internetseite der Sendung, wird nachfolgend zitiert.

Ich bin ehrlich gesagt ziemlich fassungslos. Kann das wirklich sein, dass das Ergebnis deutscher Landtagswahlen davon abhängt, was für Katastrophen irgendwo auf der Welt passieren? Will ich das wirklich glauben? Wählen als Affekthandlung ist gefährlich für die Demokratie. Weil dabei nicht nachhaltige Politik belohnt wird.

Noch bei der Bundestagswahl hatten Union und FDP die absolute Mehrheit im Ländle geholt. Kaum anderthalb Jahre später werden sie vom Hof gejagt. Nicht etwa, weil sie die Wähler getäuscht hätten. Nein, schon damals war schwarz-gelb mit offenem Visier angetreten, als Pro-Atom-Koalition. Laut und deutlich hatte man die Laufzeitenverlängerung versprochen, und dennoch wurden die Grünen 2009 nur viertstärkste Kraft, noch hinter der FDP. Heute stellen sie den Regierungschef. Hat sich in diesen 18 Monaten die Politik geändert? Nein. Die Sicherheit der Atomkraftwerke? Nein, geändert haben sich nur die Fernsehbilder. Bei wem also sollte sich der Grüne Winfried Kretschmann bedanken in seiner Antrittsrede. Sagen sie jetzt nicht, beim japanischen Atomkonzern Tepco. Sie könnten der Wahrheit bedenklich nahe kommen.

Dienstag, 22. März 2011

Wahltaktik und die Bewertung von politischem Handeln

Im Vorfeld der wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg wird nahezu jedes Handeln der politischen Akteure als strategische Entscheidung interpretiert. Auf die Bewertung der konkreten politischen Handlung sollte dieser Gesichtspunkt allerdings keinen Einfluss haben.

Dem Beobachter des politischen Geschehens wurde in den letzten Wochen innen- wie außenpolitisch einiges geboten. Die Katastrophe in Japan und der Einsatz in Libyen sind jeweils Ereignisse, die es nicht nur in die Jahresrückblicke der Hochglanzmagazine schaffen werden, sondern die einschneidende, gar historische Ereignisse markieren. Auch die Plagiatsaffäre um Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg steht für eine Nagelprobe gesellschaftlicher Auseinandersetzung, die in ihrem Verlauf Verhältnisse neu geordnet hat - und über ihren eigentlichen Anlass hinaus Wirkung besitzt.

Besagter Beobachter muss indes keine Angst haben, ihm könne langweilig werden. Wie sie auch ausgeht, die Landtagswahl in Baden-Württemberg wird die nationale Journalie lange in Atem halten. Und schon lange wirft diese Wahl ihre Schatten voraus. Jede Handlung der Regierung der bewegten vergangenen Tage, jede rhetorische Wendung der Opposition wird im Zeichen der Landtagswahl gedeutet.

Die Glaubwürdigkeit von Politikern ist von der Bewertung ihrer Politik zu trennen

So wie Nicolas Sarkozy vorgehalten wird, er wolle sich kurz vor den in Frankreich anstehenden Kommunalwahlen mit seinem energischen Vorgehen in der Libyenfrage außenpolitisch profilieren, sieht sich auch Westerwelle mit seiner Enthaltung bei der entsprechenden UN-Resolution dem Verdacht ausgesetzt, wahltaktisch zu agieren. Beide nehmen dabei gegensätzliche Positionen ein - beide aus den selben Motiven? Genauso konnte bei der Empörung der Opposition im Falle Guttenberg, bei der raschen Entscheidung zugunsten des Moratoriums in der Atompolitik argumentiert werden: Die politischen Akteure agierten rein taktisch, angetrieben nur durch das Schielen auf die wichtigen bevorstehenden Wahlen.

Diesen Vorwurf kann man immer erheben. Er kann niemals entkräftet werden. Und zugegeben - in den konkreten Beispielen liegt er tatsächlich sehr nahe. Genauso wenig wird man ihn jedoch beweisen können. Generell geschieht das Unterstellen von Motiven immer im Ungefähren, es bleibt Spekulation. Zur Beurteilung politischen Handelns ist er somit nur bedingt geeignet, möchte man sich dabei nicht vom Feuilleton abhängig machen. Es ist eine wichtige Feststellung, dass die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Politikern von der Bewertung ihrer Politik zu trennen ist.

Konkrete Handlungen als Grundlage politischer Bewertung

Bei der stark negativen Konnotation des Begriffs der Wahltaktik stellt sich zudem die Frage, ob dessen schlechter Ruf gerechtfertigt ist. Verlangen wir von unseren Politikern reine Gewissensentscheidungen? Oder ist das strategische Operieren im Vorfeld von Wahlen existenzielles Mittel innerhalb des demokratischen Systems? Diese Fragen ist sicher nicht mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten. Darin zeigt sich auch deren Komplexität. Allerdings scheint es zumindest demokratisch und legitim, wenn sich Machthaber an einer mutmaßlichen Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung orientieren.

Was zur Bewertung der Politik bleibt, sind die konkreten Handlungen der Akteure. Die Frage, wann der deutsche Diplomat in der Tagung des Weltsicherheitsrats seinen Arm gehoben hat, lässt sich objektiv beantworten - er hat die deutsche Enthaltung signalisiert. Die Außenpolitik Deutschlands wie auch Politik insgesamt wird letztlich an diesen "harten" Tatsachen zu messen sein, und nicht anhand von Spekulationen über ihre Motive.

Donnerstag, 10. März 2011

Die fünfte Gewalt: Meinung und Relevanz

Die Plagiatsaffäre, die Karl-Theodor zu Guttenberg schließlich zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern bewegte, wurde auf bislang nicht gekannte Weise von Bewegungen im Internet bestimmt. Die intensive Begleitung des Meinungskampfes im Netz, auch von den klassischen Medien, schreibt diesem jedoch eine Relevanz zu, welche er nicht besitzt - noch nicht.

In der Nachbetrachtung der Affäre des Ex-Verteidigungsministers zu Guttenberg ist eine der spannendsten Fragen diejenige nach der Rolle, welche das Internet dabei gespielt hat.

Während der netzaffine Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht in zu Guttenberg gar den ersten Minister sieht, "den das Internet gestürzt hat", wird die fünfte Gewalt auch andernorts bejubelt. In dieser Euphorie geht jedoch unter, dass dem Internet als Indikator für Meinungs- und Stimmungsbilder bislang eine höchst zweifelhafte Bedeutung zukommt.

Kampf um die Meinungshoheit

Mit der Auseinandersetzung nach den Enthüllungen über die Unstimmigkeiten in zu Guttenbergs Dissertation begann auch Kampf um die Meinungshoheit im Internet. Die beispiellose Unterstützungskampagne der Bild wurde dabei begleitet von einer Online-Umfrage auf deren Internetpräsenz. Auch der Spiegel beteiligte sich an diesem Kampf, wobei er zur Unterstützung der eigenen Position weitere Umfragen von Portalen der großen deutschen Zeitungen zitiert.

Den Aktivitäten auf Facebook wurde in der Debatte ebenfalls ein überraschend großer Raum beigemessen. Während die Bild eine hohe Beliebtheit des Verteidigungsministers anhand der Mitgliederzahl einer Gruppe bei Facebook begründet, ist nach dessen Rücktritt die rasant gewachsene Gruppe "Wir wollen Guttenberg zurück" von außerordentlichem Interesse, und das auch und im Besonderen in klassischen Medien, auch außerhalb des Netzes.

Online-Umfragen besitzen kaum Relevanz

Dabei ist nicht klar, welche Bedeutung und Relevanz Online-Umfragen und Facebook-Gruppen zukommt. Während Umfragen auf Internetportalen natürlich alles andere als repräsentativ sind, ist durch die hohe Missbrauchsgefahr - einzelne Mitglieder könnten mehrfach oder gar automatisiert abstimmen - kaum eine Aussage aus ihren Ergebnissen abzuleiten.

Auch Facebook - in Deutschland sind etwa 60% zwischen 14 und 29 Jahren alt - ermöglicht allenfalls einen Einblick in einen sehr bestimmten Teil der Gesellschaft. Außerdem macht es die geringe Hemmschwelle beim drücken des "Gefällt mir"-Buttons ohnehin schwer, Wert und Aussagekraft auf diesem Weg vermittelter Unterstützung einzuschätzen, wie die niedrige Beteiligung bei den Pro-Guttenberg-Demonstrationen beweist. Schließlich bilden Online-Erhebungen von Zustimmung oder Ablehnung auch wesentlich die Vernetztheit bestimmter Interessengruppen ab - und haben so keine relevante Aussage.

Netzgemeinschaft im Wandel begriffen

In Anbetracht dessen erscheint die große mediale Aufmerksamkeit, die diesen Aktivitäten zuteil wird, unangemessen. Tatsächlich ist es eher die Perspektive dieser Entwicklung von Interesse. Es ist abzusehen, dass die Repräsentativität im Internet getätigter Meinungsbekundungen in den nächsten Jahren zunimmt - sobald sich das Internet nämlich dahin entwickelt, von jeder Generation, jeder sozialen Schicht und jeder gesellschaftlichen Gruppe mit gleichem Selbstverständnis genutzt zu werden.

Derzeit ist das Internet und die dort postulierte Mehrheitsmeinung noch recht genau lokalisierbar. Spricht man von der sogenannten Netzgemeinde, so kann dieser von außen relativ präzise ein entsprechender Standpunkt zugeordnet werden. In diesem Sinne hat das Internet eine eigene Meinung. Dieser Zustand der Netzgemeinschaft als monolithische Einheit ist jedoch im Wandel begriffen. Schon heute, behauptet etwa der Blogger Seemann, gibt es das Netz "als – zumindest von außen – irgendwie homogen aussehender Meinungsraum" nicht mehr.

Damit wird das Netz nicht länger Sprachrohr einer informationstechnischen Elite, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Umschlagplatz individueller Standpunkte. In dieser Perspektive liegt eine große Chance für die Demokratie.

Debatte aus politischem Lagerdenken befreien

Tatsächlich bietet das Netz durch die Fülle an Inhalten sowie die immens hohe Taktrate deren Veröffentlichungen ein hohes informationelles Potential - und verändert die Medienlandschaft nachhaltig. So sieht sich offenbar auch das klassische Massenmedium Fernsehen gezwungen, zu reagieren. Durch Live-Ticker am Bildschirm-Rand oder Live-Schalten (wie im ZDF heute journal vom 10. Febuar zu einer Rede des damaligen Staatschefs von Ägypten, Hosni Mubarak) wird versucht, der Aktualität von Information im Netz beizukommen.

Diese durch das Internet gewährleistete Verfügbarkeit von Information bietet die Chance, die öffentliche Debatte endgültig aus dem politischen Lagerdenken früherer bundesrepublikanischer Tage zu befreien. Jedem steht die Möglichkeit offen, sich unmittelbar und unabhängig zu informieren, konkurrierende Standpunkte einzuholen. Entscheidend hierbei ist, dass die Hürden dafür sehr niedrig liegen. Das Internet fördert somit das inhaltlich begründete Zustandekommen differenzierter Meinungsbilder als Teil der politischen Öffentlichkeit - jenseits von Parteienzugehörigkeit und Ideologie.

Inhalte nicht nur verbreitet, sondern generiert

Während der Plagiatsaffäre blieb die Rolle des Netzes jedoch nicht darauf beschränkt, als Plattform für allgemeinen Informationsaustausch zu dienen. Mit GuttenPlag wurde darüber hinaus eine Plattform zur kollektiven Informationsverarbeitung bereitgestellt. Es ist durchaus bemerkenswert, dass damit im Internet nicht nur Inhalte verbreitet, sondern auch generiert wurden, die den Verlauf der Auseinandersetzung maßgeblich mitbestimmt haben.

Angesichts dieser bedeutenden Eigenschaft des Internets als Informationsplattform erscheint es um so unverständlicher, weshalb sich die öffentliche Aufmerksamkeit so stark vom irrelevanten, von der Bildzeitung eröffneten Nebenkriegsschauplatz der Online-Umfragen hat ablenken lassen. Seine angemessenen Platz in der öffentlichen Debatte muss das Internet offenbar erst noch finden.