Sonntag, 16. Februar 2014

Man wird ja noch sagen dürfen,

Zum 24. Februar wurde die Veröffentlichung des neuen Buchs von Thilo Sarrazin angekündigt. Es heißt "Der neue Tugendterror" und führt die These aus, in Deutschland dürfe man gewisse Dinge nicht sagen. Nun, hat er Recht damit? Das Fazit könnte noch vor Veröffentlichung nicht eindeutiger sein. Wenn selbst der vielgeschmähte konservative Kolummnist Jan Fleischhauer die Freiheit der Rede nicht in Gefahr sieht, dann sieht es schlecht aus für Sarrazin und seine These. Fleischhauer weiss schließlich, wie man einen Shitstorm herbeischreibt, und wie man ihn durchsteht. Doch ist es wirklich so einfach?

Die Frage, in welchen Grenzen der politische und gesellschaftliche Diskurs in Deutschland verläuft, wurde in jüngster Zeit mehrfach gestellt, und Sarrazin bietet hier nur ein Beispiel. Die Äußerungen des damaligen FDP-Parteichefs und Außenministers Westerwelle über eine "römische Dekadenz" boten den Auftakt für eine Reihe von Auseinandersetzungen, in denen im Kampf um Diskurs und Diskurshoheit auch die Rede- und Meinungsfreiheit thematisiert wurde.

Westerwelle war es auch, der die Titelmelodie für diese Auseinandersetzungen lieferte. Mit seinem Ausruf "Das wird man in Deutschland ja noch sagen dürfen!" unterstrich er seine Polemiken zur Gültigkeit eines wirtschaftlichen Leistungsprinzips und stellte somit die These einer empfundenen Einschränkung der Redefreiheit in den Raum. "Man wird ja noch sagen dürfen," ist seither ein Halbsatz, der gern als Kenntlichmachung besonderer Armseligkeit einer rhetorischen Positionierung in der öffentlichen Debatte genutzt wird und gleichzeitig den Umgang mit einer solchen festlegt: Verächtlichmachung.

Pikant daran bleibt, dass Westerwelle "es" eben nicht so ohne weiteres sagen durfte. Damit bleibt auch Unklar, woher obiges Zitat sein höhnisches Potential bezieht. Vielleicht aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus, aus dem Triumph. Der Anlass jedenfalls wurde kurzerhand genutzt, um den Mann, der die FDP ein gutes halbes Jahr zuvor zum ihrem besten Wahlergebnis bei einer Bundestagswahl der Geschichte führte, zu stürzen. Es begann die Amtszeit von Nachfolger Rösler sowie der Untergang der Partei. Man ließ Westerwelle sein Büro im Bendlerblock, in das er sich für etwa ein Jahr zurückzog um sich geläutert, mit neuer Brille und staatmännischem Gestus zurück in die Öffentlichkeit zu wagen. Juristisch war die Freiheit der Rede selbstverständlich nie in Gefahr, und diese Behauptung wurde auch nie prominent vertreten. Faktisch wurde aber deutlich, dass bestimmte Äußerungen den Verlust von Macht bedeuten können. So muss man die Frage, ob man denn sagen noch dürfe, positiv beantworten. Ja, aber trage die Konsequenzen, und diese bedeuten deine Demontage. So formuliert es auch Fleischhauer, wenn er schreibt "Nur weil einem eine bestimmte Elite die kalte Schulter zeigt, heißt das noch lange nicht, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet sei.". Fleischhauer, der in der glücklichen Lage ist dass er nicht trotz, sondern wegen seiner Streitbarkeit weiterhin für den Spiegel schreiben darf.

Das ist nun fast 4 Jahre her, die Auseinandersetzung um die Grenzen des Diskurses aber bleibt aktuell. Jüngstes Beispiel ist dabei die leidenschaftliche Debatte über ein vorläufiges Papier zum Bildungsplan des Landes Baden-Württemberg. Nachdem konservative Kreise zu einer Petition aufgerufen hatten, die eine Korrektur des Arbeitspapiers als Ziel formulierte entzündete sich bundesweit eine hitzige Auseinandersetzung, in welcher sich zwei Lager Indoktrination einerseits und Homophobie andererseits vorwarfen. Sicher ist, dass aus der Petition merklich Ressentiments gegenüber Homosexuellen sprechen. Der Streit polarisierte sich aber in einer Weise, in dem Zwischentöne unmöglich wurden. Im wesentlichen, so schien es, blieben einem zwei Optionen: Entweder man findet den Bildungsplan super, und damit beispielsweise die Vorgabe, Schüler sollten sich fächerübergreifend mit Kultur und Protagonisten der LSBTTIQ-Szene beschäftigen, oder man ist ein homophober Reaktionär. Diese Verengung des Diskurses man den Kolummnisten Matthias Matussek dazu getrieben haben, in einem Artikel den Vorwurf der Homophobie mit deutlicher Sprache als Kampfbegriff zu relativieren. Und wieder war sie da, die Frage: Darf man das?

Während etwa der Journalist Niggemeier es fertig brachte, einerseits die Opferrolle von Matussek zu leugnen und gleichzeitig die Notwendigkeit zu benennen, den Autor mit sozialer Ächtung zu strafen, ohne den Widerspruch zu erkennen, fiel die Reaktion insgesamt erstaunlich aus. Nämlich fast ausschließlich auf die Person Matussek gerichtet, ad hominem, und nicht etwa auf dessen Position (wie immer gibt es Ausnahmen). Aus dieser Stoßrichtung spricht auch Ziel und Anspruch der Kritik: Indem man auf die öffentliche Person Matusseks zielt, betreibt man dessen Demontage. Es geht dabei darum, darüber zu richten was man innerhalb der Grenzen einer ideologisch abgesteckten Diskurs sagen darf. Und was man eben nur außerhalb sagen kann, unter Verstoßenen, als Aussätziger.

Dabei ist der Gegenstand der Auseinandersetzung durchaus interessant. Matussek stellt nämlich eine Frage, die von seiten seiner Kritiker wehement positiv beantwortet wird: Ist man homophob, wenn man aus seinem Wertesystem heraus die Ehe zwischen Mann und Frau als privilegierte Institution betrachtet? Dass Matussek hier nur eine, wenn auch absolut streitbare, relative Aussage getroffen hat, nicht den Homosexuellen selbst, sondern nur dessen institutionalisierte Liebe beurteilt, fand auf eine Bewertung in den Kommentaren keinen Widerhall: Homophobie!

Damit wird der Begriff der Homophobie umgedeutet. Nicht eine Haltung, die zu politischer oder erlebter Diskriminierung Homosexueller führt ist gemeint, sondern ein nicht-konformes Wertesystem, dass eine explizite Bejahung der Gleichheit homosexueller Partnerschaften nicht beinhaltet. Das Manöver ist nicht ohne Auswirkung. Auf diese Weise wird die politische Frage, ob die eingetragene Lebenspartnerschaft homosexueller Paare mit der Ehe identifiziert werden soll in eine moralische Frage umgedeutet. Damit aber ist jede Kontroverse unmöglich. Entweder Unmensch, oder für uns. Frank Lübberding spricht in diesem Zusammenhang von einer Wiederauflage des Kulturkampfes. In diesem Sinn wird der Begriff der Homophobie zum Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen. Widerpruch muss sich nicht inhaltlich, sondern moralischen Angriffen erwehren. Kritik an dieser Praxis ebenfalls.

Wenn Gegenrede wird nicht als ausreichende Reaktion betrachtet wird, wie Strafanzeigen im Fall von Westerwelle wie auch im Fall der Petition zeigen, wird ein Anspruch auf Diskurshoheit deutlich, der totalitäre Züge trägt. Zumindest muss man sich darüber klar sein, dass auch über sozialen Druck bis hin zur Ächtung Macht ausgeübt wird, und dass diese Macht im Zweifel bei einigen wenigen liegt. Wenn auch juristische Angriffe bislang ohne Erfolg blieben, so stellt sich dennoch die Frage, wie man die Hygiene des öffentlichen Diskurses sicherstellen kann, ohne dabei liberale Ansprüche an eine Gesellschaft zu missachten. Dabei kann eine Einsicht sein: Es besteht, wie schon Fleischhauer schreibt, kein Anspruch darauf, unwidersprochen zu bleiben. Und das gilt für alle Beteiligten.