Mittwoch, 4. Januar 2012

Wulff und die Dynamik der Medien

Um es gleich vorweg zu sagen: Christian Wulff hätte vor dem Niedersächsischen Landtag lieber den Bezug zu Familie Geerkens und die private Finanzierung seines Eigenheims selbst hergestellt. Ob Wulff gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen hat, kann ich als Unkundiger nicht beurteilen. Eben dies zu tun ist Sache der Justiz. Wir haben es also mit einem Bundespräsidenten zu tun, der einen Fehler begangen hat. Dafür hat er sich mit durchschnittlicher Aufrichtigkeit entschuldigt.

Aber, wie so oft, um dieses Fehlverhalten geht es schon lange nicht mehr. Während sich im vorweihnachtlichen Deutschland noch keine klare Bewertung der Sachlage medial durchsetzen konnte, standen schnell andere Fragen im Raum. Ob Wulff ein guter Präsident sei, ob seine Islam-Rede einen sinnvollen Debattenbeitrag darstelle, wurde beispielsweise bei Jauch in der Sendung vom 18.12.11 in Zweifel gezogen. Dass Wulff Kontakt zu reichen Menschen unterhält, musste als impliziter Vorwurf herhalten. Dazu wurden noch schnell alte Storys darüber ausgegraben, wo und mit wem Wulff Urlaub zu machen pflegt. Ob das Amt des Bundespräsidenten nicht dadurch Schaden nehme, dass Wulff durch die Diskussion um seine Person befangen sei - dass sich ein Vorwurf ausschließlich in sich selbst begründet, scheint da niemanden zu stören.

Mit Fortschreiten einer solchen zum Skandal stilisierten Affäre, das lehrt die Erfahrung, gerät also der dessen Auslöser schnell in den Hintergrund. Klassiker unter den Methoden die Story am laufen zu halten, ist der Salami-Taktik-Vowurf. Den kann man genau dann erheben, wenn es noch eine Information gibt, die nicht explizit vom Bedrängten formuliert wurde - also immer. Außerdem liefert die Produktion neuer Skandälchen weitere Nahrung für die mediale Empörung. Da war diese Sache mit der Finanzierung der Biographie von Wulff, einige werden sich erinnern, die das Thema in die Woche vor Heiligabend rettete. Überflüssig zu erwähnen, dass von Anfang bis Ende nicht klar war, ob und wenn wer sich hier etwas hat zu Schulden kommen lassen. Mit der Erklärung Wulffs stand dann auch endlich eine schriftlicher Nachweis dafür im Raum, dass Wulff mit der Affäre - worum ging es nochmal? - irgendwie nicht so toll umgeht. All das sind ziemlich willkürliche Vorwürfe, die nur in ihrer Gesamtheit einen ungefähren Anschein erwecken. In Anbetracht eines gesammelten Berufsstands, der Tag und Nacht nach neuem Vorwerfbarem fahndet, ist das eher harmlos.

Auffällig ist die Zurückhaltung der Opposition. Hin und wieder vernimmt man aus Reihen der SPD die berechtigte Forderung, man solle einmal untersuchen, ob Wulff gegen das Gesetz verstoßen hat. Dessen völlig ungeachtet ist das Urteil in den Medien längst gefallen. Dies zeigt auch, dass die Causa Wulff ein reines Medienereignis ist und keinesfalls eine politische Frage.

Und die Medien spielen offenbar eine größere Rolle als die des Beobachters. Dass pünktlich zu Beginn der ersten Woche des neuen Jahres das während der Weihnachtstage naturgemäß etwas eingeschlafene Thema durch die unterstellt gezielte Lancierung belastender Interna wieder aufgewärmt wird, kann als Beweis angesehen werden dafür, dass sich der Bundespräsident einer Kampagne ausgesetzt sieht. Nach einem Kredit fragt keiner mehr, dennoch kippt die Stimmung in der Öffentlichkeit nun endgültig gegen Wulff.

Welche Interessen genau hinter der Kampagne stehen, darüber kann man nur spekulieren. Geht es um einen Bedeutungsgewinn, gar eine Machtprobe des Journalismus. Geht es nur um das Vermarkten von emsig generierter Empörung? Fest steht, dass es, außer auf den notorisch kritischen Nachdenkseiten, kaum jemanden gibt der sich nicht auch noch mal über Wulff aufs pseudokritischste auszukotzen berufen fühlt. Dabei liegt die bedenkliche Dimension des Themas beileibe nicht in der Frage, wer hier bei wem Urlaub macht - sondern darin, dass durch eine derartige Machtdemonstration einiger weniger Medien die Gefahr besteht, dass Politiker noch stärker als in Abhängigkeiten geraten. Spitzen wir es zu: Werden wir bald regiert von Marionetten des Springer-Konzerns? Dann doch lieber einen Bundespräsidenten, der sich am Telefon auch mal im Ton vergreift. Oder wie war noch gleich der Vorwurf?