Sonntag, 15. April 2012

Die Piraten werden sich anpassen müssen

Seit Jahren haben die etablierten Parteien mit schwindenden Mitgliederzahlen zu kämpfen, gerade den Volksparteien droht die Basis und damit die Rückkopplung zum Volk dahin zu schmelzen. Diesem Trend entgegen hat die Piratenpartei seit ihrer Gründung ein aberwitziges Wachstum zu verzeichnen. Während es scheint, als wäre eine Partizipation bei den großen Parteien nicht mehr attraktiv, treten den Piraten derart viele Mitglieder bei, dass die Partei Mühe hat, diese zu integrieren.

Diese Entwicklung hat verschiedene Gründe. Die Kultur politischer Debatten im Netz ist einer davon. Aus sozialen Netzwerken und Foren ist es die Netzgemeinde gewohnt, unmittelbar an der öffentlichen Debatte partizipieren zu können. Die wachsende Resonanz, die beispielsweise einzelne Tweets in den Massenmedien erzielen können, verstärkt zusätzlich das Bewusstsein digitaler Teilhabe. Aus der Erfahrung, politische Anliegen instantan kommunizieren zu können erwächst dann auch der Anspruch, auf die selbe Weise politisch Wirkung zu erzielen. Ermutigt wurden viele junge Piraten dabei durch den Erfolg in der für die Politisierung der Netzgemeinde wesentlichen und heftigen Debatte um Netzsperren. Die Übertragung dieses Politikverständnisses des direkten Einflussnehmens auf die deutsche Demokratie scheitert jedoch am etablierten Parteienwesen. Die alten Parteien erscheinen gegenüber dem atemlosen Netzgeschehen träge und ineffizient. Einer Generation, die in Echtzeit Nachrichten über das Netz aufnimmt und reflektiert reicht es nicht aus, diesem permanenten Prozess der Meinungsbildung lediglich alle vier Jahre bei Wahlen Ausdruck zu verleihen.

Die Piraten verkörpern gerade diesen prozessualen Zugang zu Politik, adaptieren die flachen Hierarchien der Netzkultur und entsprechen in diesem Sinne dem, was der Netzgemeinde bei den etablierten Parteien fehlt. Es ist das Misstrauen in die Wirkungsmächtigkeit der etablierten parteipolitischen Arbeit und das Bedürfnis dem Takt des Netzes angemessener Einflussnahme, dass sich hinter dem basisdemokratischen Ansatz der Partei versteckt. Und obwohl oder gerade weil sich wohl viele Piraten vorher nicht in anderen Parteien engagiert haben, schwingt in dem positiven Bekenntnis zu mehr Teilhabe auch Verachtung mit, Verachtung der alten Parteien und des demokratischen Prozesses. In diesem Sinne profitiert die Piratenpartei von verbreiteten Ressentiments, was sich nicht zuletzt in der hohen Zustimmung bei ehemaligen Nichtwählern manifestiert.

Tatsächlich erscheint das Verhältnis der Netzgemeinde mit der alten Demokratie zwiespältig. Während die Piraten in Netzfragen in den sozialen Netzwerken die absolute Meinungshoheit besitzen scheint ihr Blick teils nicht über den digitalen Tellerrand hinaus zu reichen. Dies wird deutlich, wenn diese Meinungshoheit, umgedeutet in eine Art Volkswillen, zur Legitimation der eigenen Position herangeführt wird. Die Netzgemeinde schwimme im eigenen Saft und merke es nicht einmal, heißt es im Handelsblatt - die Filterbubble lässt grüßen. Es resultiert ein naives Verständnis von der öffentlichen Debatte, deren digitale Ausprägung unter dem gleichermaßen abstoßenden wie zutreffenden Begriff des "Shitstorms", zu deutsch "Sturm aus Scheisse" firmiert. Tatsächlich ist die Auseinandersetzung im Netz nicht eben von Toleranz geprägt - und den Piraten gelingt es nicht, sich von dieser Debattenkultur wirksam abzusetzen. Dazu tragen auch Statements wie die des Parteivorsitzenden Sebastian Nerz bei, der sich unter Verweis auf einen etwaigen Shitstorm weigert, zu Liquid Democracy und damit einem genuin pirateneigenen Thema Stellung zu beziehen.

Auf diese und ähnliche Weise scheint die Partei geradezu damit zu kokettieren, dass sie sich inhaltlich vielfach nicht positioniert, und man daher die Debatte selbst als den Inhalt zu verstehen hat. Hierin spiegelt sich der Versuch wieder, die Mechanismen der diskursiven Prozesse im Netz auf die Politik zu übertragen. Beschlüsse werden stets nur basisdemokratisch verhandelt und beschlossen. Dieser Prozess hält jedoch nicht mit der Tagespolitik Schritt. Indem sie sich nicht festlegen lässt macht sich die Partei in Sachfragen zwar unangreifbar, setzt sich aber dem zuletzt oft wiederholten Vorwurf aus, sie besäße kein Programm. Das ist so nicht zutreffend, allerdings wird der Eindruck institutioneller Planlosigkeit befördert durch eine Satzung, die dem eigenen Parteivorsitzenden jede Richtlinienkomopetenz, der Partei damit jede Form von Führung versagt. Das macht sie für Wähler unberechenbar, als Koalitionär untauglich und, in letzter Konsequenz, in der jetzigen Form als Partei unbrauchbar. Es handelt sich, wie Stefan Kuzmany heute im Spiegel schreibt, "eher ein neues Medium für politische Meinungsäußerung" denn um eine Partei. Ob das Parlament der angemessene Ort für diese Form von Meinungsfindung ist, bleibt fraglich. Die zur Schau getragene Naivität der Piraten ist nicht länger aufrecht zu erhalten, wie Stefan Sasse eindrucksvoll aufzeigt. Um die erforderliche Reife als taugliche politische Kraft im politischen Spektrum zu erlangen, ist also noch eine Entwicklung nötig, bei der sich die Partei in ihrer Struktur letztlich den bestehenden Parteien annähern wird. Die etablierte Parteienlandschaft und mit ihr die bundesdeutsche Demokratie ist eine Errungenschaft, die uns über Jahrzehnte gute Dienste geleistet hat, und mag sich durch den neuen Einfluss der Netzpiraten bereichern, nicht aber völlig umkrempeln lassen. Der richtigen Forderung, die Politik müsse sich endlich den digitalen Veränderungen anpassen wird somit auch die Einsicht folgen, dass es auch und vor allem die Piraten sind, die sich dem demokratischem Prozess anpassen müssen.